Info- und Diskussionsveranstaltung mit Capulcu
Technologiekritik ist Herrschafts- und Zivilisationskritik – kein Primitivismus!
Wir fällen nicht das lächerliche Urteil, dass die Technologie „schlecht“ ist. Aus welcher – ohnehin historisch bedingten – Ethik heraus denn auch? Wir sagen, sie ist Gewalt und sozialer Krieg.
Unsere Kritik macht sich fest an der technologischen Aneignung von Lebensprozessen. Unsere Positionierung gegenüber spezifischen technologischen Innovationen orientiert sich an einem anzustrebenden Abbau von Macht, Ungleichheit und Fremdbestimmung. Unser sozialrevolutionärer Autonomie- und Freiheitsbegriff geht hier weit über die zugestandene „Freiheit“ der „User*innen“ hinaus, die als Konsument*innen und Datenlieferant*innen zwischen verschiedenen vordefinierten Produkten wählen dürfen.
Wir verteidigen nicht pauschal „die Arbeit“ gegen jede Form von Roboterisierung. Menschliche Arbeit versus Nicht-mehr-Arbeit sind wenig aussagekräftige, statische Kenngrößen einer zudem makroskopischen Betrachtung. Ohne eine mikroskopische Sicht auf gesellschaftliche Auseinandersetzungen beschreiben sie weder die Dynamik der gesellschaftlich-technologischen Umwälzung noch geben sie Einblick in ihren Disziplinierungs- und (Selbst-) Unterwerfungscharakter.
Umgekehrt halten wir die Position, Technologie als „segensreichen Fortschritt“ zu glorifizieren, den wir lediglich aus den Klauen des Kapitalismus befreien müssen, für naiv. Weder Lenins noch Trotzkis (damalige) Zukunftsvisionen einer tayloristischen Fließbandgesellschaft nähren die Hoffnung auf eine progressive Verhaltenssteuerung. Und wir sehen ebenfalls im sozialistischen Vorläufer der Industrie 4.0, dem chilenischen Cybersyn-Projekt (Proyecto Synco) Anfang der Siebziger Jahre unter Salvador Allende, keine Referenz für eine heilsversprechende Kybernetik. Denn auch dort hat sich der Vermessungseifer längst nicht mit einer automatisierten Selbstregulierung der Produktion in Chile begnügt, sondern nach Methoden einer kleinteiligen Verhaltensökonomie seiner Inhabitant*innen gesucht. Eine Perspektive, die wir heute sowohl sowohl in dem „sozialen Punktesystem“ Chinas als auch in Googles Vorstellungen vom „Buch des Lebens“ (selfish ledger) wiederfinden. Diese Programme sind ihrem Anspruch nach totalitär: Der Kybernetisierung des Sozialen wohnt die Vorstellung sich selbst regulierender Individuen inne, die durch ein von außen vorgegebenes Selbstoptimierungsprinzip maximal fremdbestimmt agieren.
Daher reicht eine Vergesellschaftung der digitalen Plattformen, ja sogar eine Vergesellschaftung der digitalen Infrastruktur nicht aus. Wir müssen die soziale Kybernetik – also die feinstgliedrige Zerlegung unseres Lebens in Mess- und Steuerkreise – als solches zurückweisen. Die Technologie lediglich vom Kapitalismus befreien zu wollen – als vermeintlich „äußerem Verhältnis“ -, ist leider eine wenig hilfreiche, unterkomplexe Vereinfachung.
Wenn wir die Transformation des Kapitalismus in Richtung eines digitalen Plattform-Kapitalismus mit neuen nicht-staatlichen Playern samt historisch neuem Ausmaß von Abhängigkeiten und Machtungleichgewichten analysieren und kritisieren, dann lässt sich daraus kein positives Verhältnis zum Staat mit dem Wunsch nach Regulierung ableiten. Das wäre ein reformistischer Kurzschluss.
90 minütiger Vortrag + anschließende Diskussion
https://capulcu.blackblogs.org