Filmvorführung im Sperrengeschoss des U-Bahnhofs Kolumbusplatz
Freitag, 12.10.2007 ab 18 Uhr
Tarifa Traffic
Dokumentarfilm, Schweiz/BRD 2003, 60 min.
Am 12. Oktober jährt sich zum 515ten Mal der Tag der sogenannten „Entdeckung“ Amerikas durch die Expedition von Christoph Kolumbus. Während es in den amerikanischen Ländern auch viele kritische Stimmen gibt, die dieses Ereignis als den Beginn einer Geschichte von Eroberung, Massenmord, Unterdrückungs- und Abhängigkeitsstrukturen beschreiben, ist der europäische Blick auf Kolumbus weitestgehend bewundernd. Der Seefahrer gilt als Prototyp des „Entdeckers“, der die Grenzen des alten Europas hinter sich ließ und allen Widerständen zum Trotz sein Ziel erreichte.
Mit Plätzen und Denkmälern wird auch heute noch der Mann geehrt, der wie kein anderer den Drang der europäischen Gesellschaften repräsentiert, sich über die Grenzen des eigenen Kontinents hinaus zu entwickeln.
Dabei fand und findet aber diese Überschreitung von Grenzen eigenartiger Weise immer nur in eine Richtung Bewunderung. Eine „Entdeckung“ Europas durch Menschen aus anderen Erdteilen, die hier – individuell oder kollektiv – ihre Zukunft gestalten wollen, ist in dieser Sichtweise nicht vorgesehen beziehungsweise wird als Bedrohung abgelehnt.
Die Abschottung der Grenzen für Menschen aus anderen Kontinenten war schon Bestandteil der europäischen Kolonialisierung Amerikas, Afrikas und Asiens. Heute ist das Grenzregime so weit entwickelt, dass viele bereits von der „Festung Europa“ sprechen, in die nur wenigen Fachkräften Zutritt gewährt wird. Der Rest wird abgeschottet, mit technischen und politischen Mitteln. Diese Form der Ausgrenzung geht einher mit einem weitestgehenden Verdrängen der Realität im Selbstbild der europäischen Gesellschaften. Die Tatsache, dass in den vergangenen fünf Jahren mindestens 2.500 Menschen (das ist die dokumentierte Zahl, die tatsächliche dürfte ein vielfaches höher sein) den Versuch, nach Europa zu gelangen, mit dem Leben bezahlten, spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Falls doch, so werden schnell die Schuldigen ausgemacht, die Schleuser, die Naivität der Migrantinnen und Migranten etc. Der offensichtliche Zusammenhang zwischen Abschottungspolitik, Kriminalisierung von Zuwanderung und dem daraus resultierenden Zwang der Menschen, sich in immer riskantere Situationen zu begeben, bleibt unerwähnt. Im Gegenteil: das Bundesinnenministerium geht auf seiner Web-Site sogar soweit, dass der Ausbau einer gemeinsamen europäischen Grenzüberwachung im Sinne der Migrantinnen und Migranten sei. Mit dem Aufbau der Grenzschutzbehörde Frontex „stimmen die betroffenen Mitgliedsstaaten ihre grenzpolizeilichen Überwachungsfahrten ab und können damit wesentlich effektiver den Schutz der Seeaußengrenzen der Europäischen Union im Mittelmeer sicherstellen. Dies wird zukünftig helfen zu verhindern, dass Menschen ihr Leben auf den gefährlichen Überfahrten von Afrika nach Europa aufs Spiel setzen “.
Auch auf juristischem Gebiet scheut sich die Europäische Union nicht mehr, humanistische Tabus zu brechen. Der elementare Grundsatz im Seerecht, dass der Kapitän eines Schiffes verpflichtet ist, die Besatzung eines in Seenot geratenen Schiffes zu retten, kann mittlerweile zu Anklagen wegen „Unterstützung illegaler Einreise“ führen. So müssen sich beispielsweise zur Zeit sieben Fischer im süditalienischen Agrigent vor Gericht verantworten, weil sie 44 Flüchtlinge auf hoher See retteten und sie dann auf die zu Italien gehörende Insel Lampedusa brachten. Im Falle eines Schuldspruchs droht den Fischern eine mehrjährige Haftstrafe. Angesichts solcher Prozesse müssen sich die staatlichen Stellen durchaus die Frage gefallen lassen, ob es künftig europäisches Recht sein soll, dass auf See Menschen dazu verpflichtet sind, anderen tatenlos beim Ertrinken zuzusehen.
Um diese Realität – zumindest an dem „geschichtsträchtigen“ 12. Oktober – ein kleines Stück mehr in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen, zeigen wir ab 18 Uhr im U-Bahnhof „Kolumbusplatz“ den Dokumentarfilm Tarifa Traffic aus dem Jahr 2003. Darin wird die Alltäglichkeit dessen thematisiert, was in den Medien als „Flüchtlingsdrama“ benannt wird: Menschen, die versuchen, bei Nacht in Schlauchbooten die Meerenge von Gibraltar zu überqueren. Menschen, die dabei ihr Leben verlieren und deren tote Körper noch schnell weggebracht werden, bevor tagsüber die Touristinnen und Touristen die Strände besuchen. Eine Realität, die das Drama der Migrantinnen und Migranten ist und zugleich eine Anklage an die europäischen Gesellschaften. Wie es eine der Interviewten des Films, eine Campingplatz-Besitzerin mit Blick auf den Strand ausdrückt: „Das ist ein Grab, das ist ein europäisches Grab“.
Die Vorführung ist Teil der internationalistischen Veranstaltungsreihe la mirada distinta des Kulturladens Westend und des Ökumenischen Büros München.