Am 8. September 2017 stellten die beiden Stadträte der CSU, Manuel Pretzl und Hans Podiuk, einen Antrag an den Stadtrat, die städtische Förderung des Vereins „Zeit, Schlacht und Raum“ e.V. einzustellen und das Mietverhältnis der von uns genutzten Räume in der Thalkirchnerstraße 102 umgehend zu beenden. Dazu beziehen wir in einem offenen Brief an den Münchner Stadtrat Stellung:

Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,
liebe Freundinnen und Freunde des „Kafé Marat“,
Am 8. September 2017 stellten die beiden Stadträte der CSU, Manuel Pretzl und Hans Podiuk, einen Antrag an den Stadtrat, die städtische Förderung des Vereins „Zeit, Schlacht und Raum“ e.V. einzustellen und das Mietverhältnis der von uns genutzten Räume in der Thalkirchnerstraße 102 umgehend zu beenden. Als Anlass und Aufhänger der Forderung dient die Aufnahme eines Plakats an der straßenseitigen Außenfassade der u.a. von uns genutzten Räumlichkeiten im ehemaligen Tröpferlbad (im Volksmund „Kafé Marat“ genannt). Der Plakatausschnitt zeigt ein Polizeifahrzeug, die Aufschrift lautet: „Hass auf Schweine – Kämpft mit uns!“.
Wir, der Vorstand des Vereins „Zeit, Schlacht und Raum“ e.V. und die Nutzergruppen des „Kafé Marat“ erklären in aller Entschiedenheit:
In politischen Konflikten und Auseinandersetzungen stehen wir für die Achtung und Wahrung der Menschenwürde aller und fordern dies auch von – ausnahmslos – allen ein. Das ist Grundkonsens, Maxime und politische Forderung des Vereins und der Nutzergruppen. Dementsprechend steht außer Frage, dass Inhalte, wie die des angesprochenen Plakates unseren politischen Idealen grundlegend widersprechen.
Für die Beurteilung des Sachverhalts und der an uns gerichteten Vorwürfe halten wir allerdings einige weitere Aspekte für enorm wichtig:
Die Aufnahme des betreffenden Plakats datiert von spätestens 2012. Anders als der Antrag der Stadträte Pretzl und Podiuk suggeriert, handelt es sich also nicht um eine aktuelle Aufnahme. Das Plakat wurde weder von Nutzergruppen des Marat angebracht, gedruckt noch vertrieben. Weder befand, noch befindet es sich in den Räumlichkeiten. Auch befinden sich aktuell an der Außenfassade des ehemaligen Tröpferlbads keine Plakate mit dieser oder ähnlicher Aufschrift.
Wir weisen die Verantwortung für die Außenfassade des von uns genutzten Gebäudes entschieden zurück. Die Fassade ist öffentlich zugänglich. Der Schluß von Parolen an der Außenfassade auf die politischen Ansichten der Nutzer ist falsch und in seiner Konsequenz gesellschaftspolitisch gefährlich. Es ist leicht auszudenken, welche Möglichkeiten der Diffamierung und Denunziation sich aus einer solchen politischen Haftbarmachung ergeben würden, z.B. für extrem rechte Gruppen.
Außerdem erscheint uns auch die Quellenlage in Bezug auf die Aufnahme des Plakates entscheidend. Anders als von Podiuk und Pretzl angegeben, handelt es sich nicht um eine private Aufnahme. Vielmehr entstammt das dem Antrag beigefügte Bild einem Screenshot aus dem Film „Der Links- Staat“ des extrem rechten Medienaktivisten Christian Jung. Jung ist in München kein Unbekannter. Der ehemalige bayerische Landesvorsitzende der rechtspopulistischen Partei „Die Freiheit“ ist ein enger politischer Weggefährte des antimuslimisch-rassistischen Agitators Michael Stürzenberger. Momentan arbeitet er u.a. für den rechtsoffenen, verschwörungsideologischen Kopp-Verlag und die AfD-nahen Internetportale „Metropolico“ und „Journalistenwatch“. Der Film „Der Links-Staat“, dem die Aufnahme entstammt, ist eine wüste Diffamierung gegen Münchner Kommunalpolitiker, Kulturzentren und verdienstvolle, stadtgesellschaftliche Initiativen. In Zeiten von Fake-News erwarten wir von unseren Münchner Stadträten einen sensiblen und kritischen Umgang mit ihren Quellen.
Der Antrag suggeriert fälschlicherweise, das „Kafé Marat“ sei so etwas wie der „Hort des Bösen“. In Wirklichkeit ist das „Kafé Marat“ ein unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen, politischen und sozialen Lebens im Schlachthofviertel – und weit darüber hinaus. Das „Kafé Marat“ ist ein unkommerzielles und selbstverwaltetes, soziales und kulturelles Zentrum. Um die hundert Aktive organisieren kollektiv und basisdemokratisch vielfältige kulturelle und politische Veranstaltungen. Dazu gehören Lesungen, politische Diskussionsveranstaltungen, Lesekreise, Konzerte, Ausstellungen und Partys. In ihrer Vielfalt haben alle Nutzergruppen des „Kafé Marat“ eines gemeinsam: alle beteiligen sich rein ehrenamtlich am Projekt, Entscheidungen werden kollektiv diskutiert und basisdemokratisch getroffen. Alle Gruppen eint ein antifaschistisches und antirassistisches Selbstverständnis. In seiner Form ist das „Kafé Marat“ in München und weit über die Tore der Stadt hinaus einmalig. München ohne das „Kafé Marat“, das wäre eine Stadt, in der viele Debatten, viele subkulturelle Szenen, viele politische Initiativen keinen Ort, kein Zuhause mehr hätten.
Während der Sommermonate haben unzählige Aktive die Räume des „Kafé Marat“ renoviert. Wir sind stolz auf das Erreichte. Wir wollen in Zukunft noch offener auf unsere Nachbarschaft und die Stadtgesellschaft zugehen. Daher laden wir alle, die Interesse an dem Projekt und Austausch mit uns haben, herzlich ein, auf uns zuzukommen. Sei es beim Feierabendbier, bei einem politischen Vortrag, auf einem Punk-Konzert oder in einer Gesprächsrunde.
Wir setzen darauf, dass eine klare Stadtratsmehrheit unsere wichtige Arbeit anerkennt, den Antrag ablehnt und die kommunale Förderung fortsetzt. Für die vielfältige Unterstützung in der Vergangenheit, in der jetzigen Situation und auch in Zukunft möchten wir uns herzlich bedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand des „Zeit, Schlacht und Raum“ e.V.
Die Nutzergruppen des „Kafé Marat“